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Lupenobjekte

Neben den großformatigen Metalldrucken hat Victoria Coeln mit den Lupenobjekten ein eigenständiges Format gefunden, mit dem sie ihre ortsspezifischen, zeitlich begrenzten Lichtinterventionen – die Chromotope – en miniature permanent zugänglich macht. Das Herzstück der Lupenobjekte sind die fotografischen Aufnahmen, die Victoria Coeln von ihren Chromotopen mit einer Vintage-Kamera herstellt. Dies sind in der Regel fotografische Diapositive (Großformat-Planfilm im Format 8 x 10“, das sind 20,3 x 25,4 cm). Sie erfassen die Chromotope bis ins kleinste Detail und zeichnen sich durch eine ganz besondere Farbtiefe und Tiefenschärfe aus. Sie werden in eigens dafür entworfene Lupenobjekte eingelegt. Das Lupenobjekt ist hier in eine Lichtsäule eingebaut, die das Diapositiv hinterleuchtet und mit einer Vergrößerungslinse abschließt. Beugen sich die Betrachtenden über die großformatige Lupe, tauchen sie mit ihrem gesamten Gesichtsfeld in das Chromotop ein und können – fast so, als würden sie tatsächlich en miniature mittendrin stehen – im Raum umherblicken und ihn abtasten. Die Textur der überschriebenen Landschaft, der Gebäude und Innenräume, ihre Farbigkeit und narrativen Spuren zeigen sich in einer unerwarteten Dreidimensionalität. Der Blick in die Lupen ermöglicht das Erfassen der komplexen Verwebungen und lässt das oftmals brisante Beziehungsgewebe zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Mensch und Raum, Politik und Natur metaphorisch wie buchstäblich in einem neuen Licht erscheinen. Vor diesem Hintergrund werden die Lupenobjekte zu einem Re-Enactment der Chromotope im Kleinen. 
(Heike Sütter)

Wir sehen, ohne darüber nachzudenken. Die Basis für das Sehen und die Entwicklung unseres Augenlichts war und ist Sonnenlicht. Ohne Licht sind weder die Sterne noch die Erde mit allem, was sich darauf befindet, sichtbar. Und das Licht selbst? Für das menschliche Auge ist Licht nicht sichtbar. Wäre es sichtbar, so würden uns unendlich viele Lichtteilchen die Sicht verstellen. Wir könnten weder einander noch die uns umgebenden Dinge oder gar den Kosmos sehen. Licht ist also ohne Materie nicht sichtbar – und natürlich ist Materie ohne Licht nicht sichtbar. Nun aber passiert das kaum Vorstellbare: Berühren einander zwei nicht sichtbare Elemente (Materie, Licht) werden sie gemeinsam sichtbar! Im Alltag denken wir kaum über dieses so geniale wie einfache Phänomen nach. Wir sehen, ohne dabei zu bedenken, wie Sehen überhaupt funktioniert. Es ist vielleicht das größte Wunder mit dem wir leben. Sobald wir das Licht der Welt erblicken, beginnt unsere visuelle Wahrnehmung mit der Verarbeitung von allerfeinsten Informationen. Lichtstrahlen dringen in unser Auge und werden sogleich in unterschiedliche Lichtwellen, also in Nanometer-kleine Einheiten unterteilt und verwertet – seit Jahrtausenden. Von Beginn der Evolution an haben wir vermutlich über die Bedeutung der Sonne spekuliert, aber erst viel später beginnen wir damit, Licht als technisches Medium zu begreifen und mit unserem Augenlicht in Verbindung zu bringen. Mit Platon, Aristoteles, Demokrit, Hypatia und Alhazen, Newton, Maxwell, Young und Helmholtz, Einstein und Curie (diese Liste ließe sich endlos erweitern) wird immer mehr Wissen über Wahrnehmung, Licht und Sehen generiert, Wissen, das auch meiner Arbeit zugrunde liegt. Doch wofür sind wir heute (immer noch) blind? Seit dem epochalen Nachweis der Gravitationswellen 2015/16 fragt auch die Physik verstärkt: Welche Strahlen, Informationen, Informationstransmitter sind noch nicht entdeckt? Welche Wunder sehen und verarbeiten wir ganz selbstverständlich, die wir mit heutigem Wissen und heutiger Technik noch gar nicht entdecken oder gar auslesen können? Was ist das Eigentliche, das sich mittels Licht präzise und ganz fein gestalten lässt? Zeigt es sich, so entstehen ganz besonders kraftund machtvolle Momente. Aus nicht-sichtbaren Ebenen entfalten sich neue Wirklichkeiten mit einem „inneren Licht“, das gleich den blinden Sehenden in die Zukunft weist ... Victoria Coel